Reparieren statt wegwerfen: Lohnt sich ein Besuch im RepairCafé?
Wisst ihr noch, dass Oma die Socken gestopft und nicht weggeworfen hat? Das Reparieren ist heute nicht mehr en vogue – derweil könnte man dadurch nicht nur sparen, sondern auch der Umwelt Gutes tun. Zum Glück gibt es mit RepairCafés eine Gegenbewegung in unserer Wegwerfgesellschaft – ISARSPARERIN Teresa hat das RepairCafé der WerkBox³ im Sommer 2015 besucht und darüber geschrieben:
Reportage:
Ein Inder für alle Fälle – Zu Besuch im RepairCafé der WerkBox³
Auf der Bierbank sitzt ein älterer Mann, in dessen linker Ohrmuschel ein Hörgerät deutlich zu sehen ist. Mit der Ruhe eines Buddhas schraubt er an einem Elektroteil herum. Dieser undefinierbare Zylinder scheint der Optik nach aus den 1960er Jahren zu stammen. Das Weiß des Gerätes, das sicher einst stolz gestrahlt hat, ist mit den Jahren vergilbt. So hat auch das lichte Haar des Mannes, der daran mit einem kleinen, orangefarbenen Schraubenzieher herumdoktert, über die Jahre die Farbe gewechselt: Früher war es – seinem Teint nach zu schließen – sicher tiefschwarz, jetzt ist es ergraut. Auch den faltigen Fingern des Mannes, den hier alle Loken nennen, sieht man ihr Alter an, doch gehorchen sie ihm noch sehr genau. An dem über die Jahre gelb gewordenen Plastik des Gerätes prangt eine silberfarbene Plakette: „Zauberstab“ ist darauf in großen Lettern zu lesen und neben der Artikelnummer „Made in Switzerland“.
„Meine Bekannte hat das Gerät vor vielen Jahren in der Schweiz gekauft“, erklärt eine ältere Frau mit einer auffällig roten Tasche und den farblich dazu passenden Schuhen dem schraubenden Loken. „Sie hängt an dem Gerät, es war wohl einmal sehr teuer und als ich ihr gesagt habe, dass ich heute zum RepairCafé gehe, hat sie mich gebeten, den Pürierstab mitzunehmen“. Viele Jahre schon lag dieser kaputt in der Schublade – zu schade zum Wegwerfen; jetzt versucht Loken das Gerät für die Bekannte der Dame in Rot zu reparieren.
Uwe leitet die Veranstaltung, er hat hierfür drei Bierbankgarnituren auf die Terrasse der Werkbox3 gestellt. An an einer arbeitet nun Loken für die „Kunden“ des RepairCafés und versucht liebgewonnene Dinge des Alltags zu richten. „Kunde ist eigentlich das falsche Wort“, sagt Uwe, der das RepairCafé der WerkBox³ im Februar 2014 mitinitiiert hat. „Für mich sind es Gäste“. Uwe arbeitet ansonsten in dieser „offenen Werkstatt“ auf dem Gelände der Kultfabrik, der Partymeile im Münchner Osten. Nur heute – wie jeden ersten Donnerstag im Monat – ist die WerkBox³-Werkstatt ein RepairCafé zum Nulltarif. Das Konzept ist übrigens keine Münchner Erfindung, sondern stammt aus den Niederlanden.
RepairCafé keine Münchner Erfindung
Die Menschen an den hölzernen Bierbänken haben die unterschiedlichsten Problemfälle dabei: Eine Digitalkamera, die ihren Geist aufgeben hat, einer Stehlampe, die sich nicht mehr einschalten oder eine alte Filter-Kaffeemaschine mit Macken. Zwischen den Gästen sitzen geschickte Reparateure wie Loken. Neben den Biertischgarnituren stehen auf der Terrasse der WerkBox³ eine alte braune Couchgarnitur und eine weiße Küchenanrichte aus Omas Zeiten mit Kräuter-Blumentöpfen darauf. Diese Einrichtungsgegenstände wären woanders unter Umständen schon auf dem Müll gelandet – doch hier erzeigen die Retro-Möbel das richtige Flair für ein RepairCafé.
Die Gäste konnten auch eine zerrissene Jeans bringen, denn auch hierfür gibt es „Fachpersonal“. „Doch mit kaputten Klamotten kommt fast niemand mehr zu uns, die Leute werfen die wohl einfach weg“, meint Uwe nachdenklich, fast etwas traurig. Das „Fachpersonal“ rekrutiert sich aus Uwes Kollegen, die sich einen Arbeitsplatz in der offenen Werkstatt gemietet haben. Und eben aus Tüftlern wie Loken. „Er ist eigentlich immer da“, verrät Uwe. Alle reparieren ehrenamtlich.
Auch das Werkzeug ist gebraucht
Loken spricht nicht viel, er scheint mit dem Elektrogerät in seinen Händen nahezu verschmolzen zu sein. In wenigen Minuten hat er den Zauberstab komplett zerlegt und das Problem analysiert. „Kabelbruch“ lautet seine kurze, aber präzise Diagnose. Das Gerät ist so alt, dass es hierfür keine Ersatzteile in Uwes Fundus gibt. Also beginnt er, das Kabel zu verkürzen und neu zu verbauen.
„Eigentlich sollen die Gäste im RepairCafé angeleitet werden, die Reparatur selbst durchzuführen“, erklärt Uwe. So zumindest die Theorie – in der Praxis kommt bei Loken nun ein Lötkolben zum Einsatz, den viele andere Heimwerker wohl auch längst auf den Müll geschmissen hätten, weil er aussieht, als wäre er reif für das Museum. Doch der alte Lötkolben tut seinen Dienst. Zu dem aromatischen Geruch von frisch geschnittenem Holz, das von der Kreissäge aus dem Inneren der Werkbox3 produziert wird und auf die Terrasse dringt, mischt sich nun der aufdringliche Geruch von Lötzinn. Selbst das kreischende Geräusch der Kreissäge kann Loken nicht aus seiner nahezu meditativen Ruhe bringen, mit der er an dem rund 50 Jahre alten Gerät herumfingert.
Eigentlich würde Loken lieber mit seinen eigenen Werkzeugen arbeiten – „es ist besser mit eigenen Werkzeugen zu arbeiten“, sagt er. Aber nach seiner Bypass-OP kann er seinen Werkzeugkoffer, der rund 30 Kilo wiegt, nicht mehr so einfach in der Gegend herumtragen. Loken, der deutsch mit starkem Akzent spricht, weil er aus Indien stammt, ist nämlich schon 79 Jahre. Ungefähr zur gleichen Zeit als der Zauberstab in der Schweiz erworben wurde, dürfte er als Computer-Experte nach Deutschland gekommen sein. „Weil damals in Deutschland noch kaum jemand Englisch sprach“, erzählt er in knappen Worten, denn seine volle Konzentration ist weiter auf den defekten Pürierstab in seinen Händen gerichtet. Die Unterhaltung scheint ihn anzustrengen, weil er nicht mehr so gut hört, er deutet auf sein Hörgerät im linken Ohr.
Eben noch war der Pürierstab komplett zerlegt, nun hat ihn Loken mit seinen alten, aber immer noch geschickten Fingern schon wieder zusammengebaut. Langsam führt er den Stecker des Gerätes in Richtung einer der Steckdosenleiste, die Uwe auf den Bierbänken verteilt hat. Und siehe da – der Zauberstab funktioniert wieder, er summt und rotiert wie man es von ihm erwartet!
Doch Loken scheint noch nicht zufrieden mit seiner Arbeit zu sein, konzentriert fummelt er erneut am Schalter des Zauberstabs herum. Die verschiedenen Geschwindigkeitsstufen funktionieren noch nicht. Also zieht er den Stecker des Geräts wieder bedächtig aus der Mehrfachsteckdosenleiste und fängt abermals an, den Pürierstab zu zerlegen.
„Reparieren ist Brainjogging“, sagt der 79-Jährige. Nachdem er als Computerexperte in Rente gegangen ist, hat er an der Abendschule eine Ausbildung zum Fernsehtechniker gemacht. „Männer in meinem Alter fressen zu viel und machen sonst nichts mehr. Ich mache täglich Yoga“, erzählt er. Auch wenn er mit buddhistischer Ruhe an dem Gerät herumschraubt, der gebürtige Inder Loken ist eigentlich Hindu und sich sicher: „Man kann in jedem Alter alles lernen!“
Lösung gegen Müll und CO2-Ausstoß
Von seinen jungen Kollegen im RepairCafé hält Loken viel, das merkt man, als er sich das Prüfgerät von Phillip am Nachbartisch ausleiht, der sich gerade um den Mini-Kühlschrank einer Dame mit blonden Haaren im Business-Outfit bemüht. Die weiße Bluse der Kühlschrankbesitzerin passt farblich zu ihren Perlen-Ohrsteckern, einen neuen Kühlschrank könnte sie sich locker leisten. Doch ein Neugerät will sie sich nicht kaufen. So werde unnötig Müll und CO2 produziert, betont sie bestimmt. Die blonden Haare der Kühlschrankbesitzerin sind akkurat zusammengebunden.
Zwischen Phillip und Loken liegen fast 60 Jahre. Philips kinnlangen Haare sind noch so schwarz wie die von Loken wohl einst waren. Philip muss sich seine langen Haare während der Reparatur immer wieder aus dem Gesicht streichen. „Da hat der Chinese aber nicht gut gearbeitet“, stellt er fest. Den Kühlschrank aus Fernost kann er dennoch reparieren, nur die Temperatur wird man künftig nicht mehr regeln können. „Viele Geräte sind heute so gebaut, dass man sie gar nicht mehr reparieren kann. Oder es sind billige Bauteile verbaut, dass sie schnell kaputt gehen – das nennt man geplante Obsoleszenz“, erklärt der 24-Jährige, der ein Semester Elektrotechnik studiert hat; das war ihm jedoch zu langweilig und unpraktisch, denn er baut Geräte und repariert sie, seit er einen Lötkolben halten kann, wie er mit einem Schmunzeln erzählt.
Die Business-Blondine ist überglücklich, dass er ihren Mini-Kühlschrank wieder zum Laufen bringen konnte. Sie zieht ihr großes, braunes Portemonnaie aus der Designer-Handtasche und fuchtelt damit freudestrahlend vor der Spendenbox der WerkBox³ in der Luft herum. „Was gibt man denn so für gewöhnlich her?“, fragt sie ihren Reparateur Phillip. „Was es dir wert ist“, antwortet er und verstaut eine dicke, schwarze Haarsträhne hinter seinem rechten Ohr. Die Dame gruscht verlegen im Kleingeldbereich ihres Geldbeutels.
Reich wird die WerkBox³ mit dem RepairCafé nicht. „Der Spendenrekord lag an einem Abend bei 50 Euro. Aber da waren sehr viele Gäste da“, erzählt Uwe.
Münchner Museums-Direktor an der Spitze der Reparatur-Bewegung
Mittlerweile hat Loken den Zauberstab zum zweiten Mal auseinandergebaut und mit dem Prüfgerät, das er sich von Phillip am Nachbartisch geholt hat, inspiziert. Es ist bereits der sechste Pürierstab, den der gebürtige Inder in einem Münchner RepairCafé auseinandergebaut hat. Außer in der WerkBox³ arbeitet Loken nämlich noch in anderen RepairCafés der Stadt ehrenamtlich. Überall ist er „der Inder für alle Fälle“. Stolz erzählt er, dass er hierfür sogar regelmäßig Anrufe von Familie Heckl bekommt. Professor Wolfgang Heckl ist Generaldirektor des Deutschen Museums, aber vor allem als Stammgast im Sonntags-Stammtisch des Bayerischen Fernsehens bekannt. In seinem Buch „Kultur der Reparatur“* kämpft er gegen die Wegwerf-Gesellschaft. Er ist wohl der prominenteste Vertreter der Reparatur-Bewegung – zumindest in Bayern. Heckls Frau lädt Loken regelmäßig zum RepairCafé ins Deutsche Museum ein: „Sie sagt, ich soll kommen, weil ich alles reparieren kann“, erzählt der 79-jährige bescheiden, aber durchaus mit einem Strahlen in den Augen.
Auch zum zweiten Mal baut er den Pürierstab mit seiner buddhistischen Ruhe wieder zusammen. Die anderen Gäste diskutieren derweil über die Bierbänke hinweg, ob der rund 50 Jahre alte Zauberstab mit neuen Pürierstäben überhaupt noch mithalten könne: „Die haben doch heute viel mehr Watt“, stellt der Mittsechziger Wilhelm fest, dessen mitgebrachter Akkuschrauber schon von Phillip für „chancenlos“ kaputt erklärt worden ist. Er war, anders als die Damen mit Kühlschrank und Pürierstab, schon öfter zu Gast im RepairCafé. Ihm scheint es weniger um die Reparatur seines Akkuschraubers zu gehen, sonst würde er jetzt nicht mehr sitzenbleiben. Der Alleinstehende genießt auch die Atmosphäre dort.
Loken steckt nun den Stecker des Zauberstabs zum zweiten Mal in die Steckdosenleiste auf dem Biertisch. Ein breites Lächeln huscht über sein Gesicht, das nicht aussieht wie das eines fast 80 Jahre alten Mannes, als er feststellt, dass nun wieder alle Geschwindigkeitsstufen funktionieren. Der Dame in Rot erklärt er ernüchternd: „Motor ist schwach, wird wohl nicht mehr lange gehen.“
Doch seine Mühe an diesem Abend im RepairCafé war nicht umsonst, die eigentliche Besitzerin wird sich freuen, auch wenn sie vielleicht nicht mehr lange Freude an ihrem alten Elektrogerät haben wird, das für sie offensichtlich einen hohen emotionalen Wert hat. Und wenn auch den Besitzern der Filterkaffeemaschine ebenso wie Wilhelms Akkuschrauber nicht geholfen werden konnte: Die Gäste des RepairCafés haben an diesem Abend in der WerkBox³ ein Statement gegen die Wegwerfgesellschaft gesetzt. Und Loken und Phillip werden nächsten Monat wiederkommen und reparieren. Alt und jung; gemeinsam, als Nachbarn an Uwes Biertischgarnituren – auch das ist ein schöner Nebeneffekt dieser Initiative.
RepairCafé in der WerkBox³
jeden ersten Donnerstag im Monat